Die CAIPI – ein Top-Allrounder. Warum und wie sie wurde was sie ist.

Um die Erfolgsgeschichte der Caipirinha zu verstehen, muss man in der Mixgeschichte etwas zurückgehen, denn die Entwicklung der gemixten Getränke verlief auf den Kontinenten unterschiedlich. Besonders in Europa gab es große Unterschiede.

Wir haben dazu Franz Brandl befragt, der als Verfasser von zahlreichen Praxis-Ratgebern und Rezeptsammlungen rund um Cocktails und anderer Mixgetränke und als Zeitzeuge der entstehenden Barkultur in Deutschland das Thema Caipi-Boom gleich mehrfach für uns beleuchtet.

Wandel der Drinkkultur – vom Whisky zum gemischtem Getränk

„In den USA, dem Land der Cocktails schlechthin, lag der Ursprung, und ab den 1850er Jahren entwickelte sich hier bereits die Cocktailkultur“ sagt Brandl. „Das damals in Nordamerika zur Verfügung stehende Spirituosenangebot beschränkte sich fast ausschließlich auf Getreidebrände aus denen sich später der Whiskey entwickelte. Es waren harte, hochprozentige Kornschnäpse, deren Genuss Mut und Standvermögen erforderte. So lag es nahe, dass man versuchte, durch Süßen mit Zucker oder Honig oder die Zugabe von aromatischen Ingredienzen und Früchten den Genuss erträglicher zu machen. Auch der Platz der Kommunikation änderte sich und die einfache Barriere des Westernsaloons entwickelte sich zur American Bar.“

In Europa begann der Siegeszug des Cocktails in den Bars der großen Hotels, die um die vorletzte Jahrhundertwende errichtet wurden. In Deutschland wurde diese Entwicklung allerdings von den Kriegen und Wirrnissen der ersten Jahrhunderthälfte unterbrochen.

Mitten in diesen wirren Jahren wurde am 20. Januar 1943 die Marke „PITU“ erstmalig in Brasilien angemeldet, noch lange bevor in Deutschland Cocktails etabliert waren.

Man konnte an der Bar nur mit dem arbeiten, was da war

Brandl erinnert sich: „Einer der wichtigsten ersten Anstöße, der das Mixen nach dem 2. Weltkrieg überhaupt wieder ermöglichte, war die Wiederaufnahme der Produktion von Bols. Bereits seit 1890 hatte Bols einen Produktionsstandort in Emmerich am Niederrhein und ab 1946 wurde am neuen Standort in Neuss wieder produziert. Die Firma Bols war in den Nachkriegsjahren der einzige internationale Hersteller, der in Deutschland Spirituosen und Liköre herstellte. Aufgrund der damals horrenden Preise für ausländische Produkte wäre ohne die Liköre von Bols das Mixen vieler weltbekannter Drinks lange Zeit illusorisch geblieben. Bols fertigte sein ganzes Likör- und Spirituosen-Programm und ermöglichte damit das Mixen der bekannten Klassiker.“

Hotelbars und American Bars waren die Brutstätten der Mixkultur in Deutschland

In Deutschland erhielt der Cocktail erst in den späten 1950er Jahren den Stellenwert, den er in den USA und in London und Paris längst hatte. Brandls Einschätzung nach war erst in den 1970er Jahren der Durchbruch auch in Deutschland geschafft. Das war die Zeit in der auch außerhalb der Hotels American Bars entstanden. Viel zum Fortschritt trug auch das in dieser Zeit rasant wachsende Angebot an internationalen Getränken bei und die Nachfrage nach neuen Drinks stieg auch durch die Genießer, die auf ihren Auslandsreisen neue Drinks kennengelernt hatten.

Zeiten des Umbruchs

Nicht nur in der Geschichtswissenschaft gelten die 70er-Jahre heute als eine Zeit von (Öl-) Krisen, Nachkriegbooms, Umbrüchen und Veränderungen. Im TV flimmern Kojak, Quincy, Dalli Dalli, die Rappelkiste (und) am laufenden Band. Es ist die Zeit der Plateauschuhe, Schlaghose, Lavalampe und Bonanza-Rad. Der Durst der Deutschen nach Exotischem und der Ferne wächst.

Es sind die Pioniere wie Heinrich Riemerschmid, Spirituosenfabrikant alter Schule und Weltreisender, die neue Getränke-Trends nach Deutschland bringen. Der innovative Münchner Spirituosen-Hersteller produzierte bereits in den 1950er Jahren neuartige Liköre und importierte seinerzeit als erster die damals hierzulande noch völlig unbekannte Spirituose Tequila nach Deutschland.

Anläßlich einer Brasilien-Reise, die der Unternehmer im Jahr 1970 unternahm, um mit Frucht-Lieferanten in Verbindung zu treten, lernte er die die Cachaça-Marke Pitú und den Hersteller Engarrafamento Pitu  Ltda. kennen. Kurz darauf, im Jahre 1972 wurde Riemerschmid der Exklusivverkauf von „PITU“ für Deutschland und die EWG-Länder zugesprochen.

Franz Brandl wirkte in diesen Jahren als Barmanager im Sheraton Hotel München, dem damals größten Hotel Europas. Als im September 1974 dann in München die Harry‘s New York Bar als erste von einem Hotel unabhängige American Bar in Deutschland eröffnet wurde, wechselte Brandl und trat dort als Barchef an.

Die Limette war der zündende Funke

„Während damals der mit Tequila zubereitete Klassiker Margarita schon einigen Mix-Profis bekannt war, war Cachaça völlig unbekannt und niemand wusste irgendetwas.“ resümiert Franz Brandl. „Brasilien-Reisende berichteten vom brasilianischen Nationalgetränk Caipirinha, aber auch wenn man das Rezept hatte, war bei den Limetten Schluss. Diese gab es nämlich nicht, und wenn doch, dann waren sie sehr teuer. Erst als Limetten in Deutschland ab 1990 preisgünstiger wurden und auch in größeren Mengen verfügbar waren, sprang die Caipirinha-Welle an.“

Der Charme der Caipi

Um zu verstehen, wie es zu dem Caipi-Boom kam, und warum der Caipirinha heute für Franz Brandl zu den TOP TEN Mixdrinks zählt, muss man auf die Ursprünge des Mixens eingehen. Der Barexperte erläutert uns:

„Gemixt wird aus vielerlei Gründen. Man verbindet verschiedene Geschmackskomponenten oder Vorlieben, man entschärft den Alkohol oder verlängert mit Limonaden oder Säften zum Longdrink. Das absolute Rückgrat beim Mixen ist die Verbindung Spirituose-Sauer-Süß. Dies zeigt sich bei den Klassikern der Gruppe Sour-Fizz-Collins, die immer aus einer Spirituose, Zitronensaft und Zucker bestehen.

Zum Erfolg der Caipirinha trug sicher bei, dass sich die Komponenten Süß und Sauer auch im bereits fertigen und servierten Drink problemlos ausgleichen lassen. Mit einer Caipirinha hat man einen massiven und kühlen Drink in der Hand und der Genuss durch dicke Trinkhalme ist anders, als an einem Cocktailglas zu nippen. Süßt man mit grobkörnigem, braunem Rohrzucker, kommt das Knirschen des Zuckers beim Zermahlen mit den Zähnen dazu.“

In Brasilien mixt man die Caipirinha mit dem dort alltäglichen feinen weißen Rohrzucker. Die Verwendung des groben braunen Zuckers hat sich bei uns eingebürgert, da dieser weiße Zucker bei uns seltener erhältlich war und auch heute noch schwer zu finden ist. Ein Vergleich lohnt sich jedoch.

Pflegeleichter Allrounder

„Die Caipi ist ein Allrounder“ sagt Brandl. Denn ihre Zeit beginnt bereits am frühen Nachmittag, sie ist Aperitif und Digestif und ein absoluter Party-Drink. Natürlich braucht die Herstellung Zeit, doch der Aufwand hält sich in Grenzen. Der Drink lässt sich gut vorbereiten, und anders als bei kohlensäurehaltigen Drinks oder Drinks mit einer Schaumkrone, muss man beim Service nicht hetzen. Im Gegenteil, denn durch das Eis beschlägt das Glas und der Caipirinha gewinnt durch die Kälte. Und da eine Caipi keine sprudelnde Filler enthält, gibt es kein Risiko des Kohlensäureverlusts bei längeren Standzeiten. Im Gegenteil, der Drink wird nur kälter und besser.

Weitere Vorteile: Das Caipi wird im Glas zubereitet, man benötigt kein Equipment wie Shaker, und Strainer die nach jedem Drink gereinigt werden müssen, sondern nur ein Schneidbrett  für die Limetten, ein Messer, einen Löffel und einen Stössel.

Klassische Rezeptur und Zubereitung

1–2 Limetten, je nach Größe und Reifegrad. Von trockeneren Früchten benötigt man mehr als von saftigen, von großen weniger als von kleinen)

2-3 Bar- oder behelfsweise auch Teelöffel brauner oder feiner weißer Rohrzucker

5 cl Pitú Cachaça (in internationalen Rezepturen finden sich zum Teil auch 6 cl)

Die Limetten vierteln und in einen großen Tumbler geben. Mit einem Stößel die Limettenstücke leicht ausdrücken, nicht töten. Den Cachaça und den Zucker dazugeben und mit einem Barlöffel gut vermischen. Das Glas mit grob zerschlagenen Eiswürfeln oder crushed Eis füllen und nochmals vermischen. Einen oder zwei dicke, kurze Trinkhalme dazugeben.

Mehr Frucht, mehr Flavour

Die Caipi lädt ein, sie zu interpretieren und variieren. Und das geht am besten mit Früchten. Nachfolgend zwei einfache, leckere Beispiele von Thomas Magg:

Erdbeer-Caipi      

½ Limette zerdrücken (weniger Limette als im Original, weniger Säure)

5 cl PITÚ hinzugeben

½ Teelöffel brauner Rohrzucker  (weniger Rohrzucker als in einer klassischen Caipi, da Süße aus dem Saft hinzukommt)

8 cl Erdbeersaft

Crushed Ice

 

Maracuja Caipi

Gleiches Grundrezept wie die Erdbeercaipi, nur statt Erdbeersaft ersatzweise die gleiche Menge (8 cl) Maracujanektar verwenden.Die Caipi bietet unzählige Variationsmöglichkeiten, und ist ein nachgefragter weil bekannter und damit vorverkaufter Klassiker. Selbst bei einem attraktiven Preis auf der Getränkekarte bietet sie dem Gastronom eine ordentliche Spanne. Ein Rechenbeispiel: einem empfohlenen Verkaufspreis an den Gast in Höhe von 8,00 € auf der Getränkekarte steht ein Wareneinsatz von 0,80 bis 1,15 € (je nach Zutaten und Einkaufspreis) gegenüber.

Der brasilianische Drink wird selten alleine bestellt, und erfährt aktuell in Corona-Zeiten ein unerwartetes Revival, denn offensichtlich hat der Konsument seine geliebte Caipi wiederentdeckt.

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